E V A   S C H A E U B L E

Texte

Eva's Schwestern – Klaus Gallwitz, 15.10.2016

Sie sind über die ganze Welt verteilt, aber einige mehr kenne ich jetzt mit Namen, weil ihnen Eva Schaeuble Gesicht, Gestalt und Farbe gegeben hat. Damit wir mit ihnen nähere Bekanntschaft machen können, stellt sie uns ihre Schwestern auch namentlich vor. Es sind: Victorine, Eva Gonzales, Berthe, Marcello, Suzanne und Mary Cassat. Ihre Ähnlichkeit mit unserer Eva ist unverkennbar und zweifellos beabsichtigt. Wundert es, daß alle Genannten den künstlerischen Beruf ergriffen haben und ihn mit Leidenschaft vertraten? Sie sind ganz aus unserer Zeit, auch wenn sie aus dem vorletzten Jahrhundert kommen. Dort hat sie Eva aufgegriffen und sich als ihre Schwester erkannt. Man darf sie zu dieser Entdeckung beglückwünschen. Sie lebt nun schon länger mit ihnen, unternimmt mit der einen oder anderen gemeinsame Ausflüge, schätzt ihre besonderen Eigenschaften und teilt Ihre Vorlieben. Sie hilft ihnen bei der Wahl ihrer Garderobe und Frisuren und setzt ihnen die Hüte auf, die sie gut kleiden. Sie lieben den gemeinsamen Auftritt mit einer Prise Selbstironie: „Heldinnen wie wir“.

Victorine Meurent (1844-1927), das Modell Edouard Manets, steht ihr seit vielen Jahren am nächsten. Im Kostüm der Stierkämpferin, der Torera, sieht sie am besten aus. Das weiß sie auch, denn sie hat bei Manet ihr Vorbild gefunden, ihr alter ego. Sie ist am längsten an Evas Seite „la jeune Victorine“ und nun – wir merken es kaum - „la vieille Victorine“, ein wenig mehr Schatten auf den Gesichtszügen und den erfahrenen alten Andreas Gryphius als Souffleur: „ ...Die Schönheit ist wie Schnee, dies Leben... “. Ihr allein hat Eva auch einen Bolero aus bemalter Keramik zugedacht, den „Traje de luces“ und verzierte Schuhe und Handschuhe. Sie ist die Lieblingsschwester. Und dann natürlich die kluge und schöne Berthe, Freundin der Impressionisten und die berühmteste unter den Malerinnen ihrer Generation in Paris: Berthe Morisot (1841-1895). Bei unserer Eva läuft sie unter „Berthe und die anderen“, will sagen, ihr gebührt eine Vorrangstellung, sie ist prima inter pares. Wir betrachten die um wenige Jahre jüngere, im Kindbett verstorbene Eva Gonzales (1847-1883), die einzige unter den Schwestern, die wie unsere Eva auf denselben Namen hört, begabte Tochter eines Kupferstechers spanischer Abstammung und einer Musikerin aus belgischer Familie. „Der Hornist“ war eines ihrer bekanntesten Bilder. Ihr folgt Marcello, so das von ihr angenommene Pseudonym. In der Kunstgeschichte verzeichnet unter Adèle d'Affry (1836-1879), ist sie eine der ersten jungen Frauen aus der Oberschicht, die sich als Bildhauerin aus ihrer Schweizer Heimat mutig nach Paris begab, um hier als Marcello ihre Karriere zu machen. In der Pariser Oper steht die „Pythia“, ihre berühmteste Skulptur. Die Amerikanerin Mary Cassat (1844-1926) ist wie Marcello selbstbewußt und unabhängig genug, um sich in Paris als Malerin zu behaupten und die französischen Künstler ihrer Generation in amerikanischen Sammlungen und Museen heimisch zu machen. Schließlich Suzanne Valadon (18651938), die jüngste und vitalste unter Eva's Schwestern, Tochter einer Wäscherin und Mutter eines Malers, hatte für alle ihre schwierigen Lebenslagen die angemessene Antwort: sie lernte sie zu beherrschen.

Liebe Schwestern unserer Eva, verzeiht diese schulmeisterliche Vorstellung. Eva hat einen ungleich passenderen Platz vorbereitet - in ihrer für Euch handgefertigten Hausbar in der Rotunde des Dampfbads in Baden-Baden, ein Ort, der zu seiner Zeit auch von Eurer Gegenwart inspiriert wurde. Pariser Luft. Da thront Ihr nun, um Vasenlänge erhöht auf sechs Hockern und seid Geschichte und Gegenwart zugleich. Von großen und kleinen Sachen ist die Rede ringsum, also Palaver. Es sind aber nicht nur die Wörter da, sondern auch die Sachen. Hauptsachen.

Im Jahr 1973 gab es in Baden-Badens Kunsthalle eine andere Bar. Die hatten die englischen Künstler Gilbert und George in einem der oktogonalen Räume eingerichtet. Es handelte sich um das von Hand gezeichnete originalgroße Abbild des von den beiden Männern bevorzugten Pubs in London, vehement mit festen Strichen auf braungetöntem Papier mit Kohle porträtiert und auf vielen aneinander gefügten Bahnen als Raum im Raume errichtet. Selbst die Decke mit ihren eingezogenen hölzernen Balken war nicht vergessen. Am Tresen sah man lebensgroß die Konterfeis der beiden Künstler in Erwartung weiterer Gäste. Die Barhocker aber waren leer. Ob sich die junge Eva, die damals zu unseren Ausstellungen herüberkam, erinnert? Heute sind Eva's Schwestern eingetroffen. Die Bar ist besetzt. Aber mit Gilbert und George rücken wir zusammen.

Klaus Gallwitz

Les Bagages d’Eva – Klaus Gallwitz

Ihre Malerei lebt vom Überfluß. Aber nicht das klassische Füllhorn ist ihr Attribut, sondern der Brunnen. Am ehesten ein römischer wie in der Via Giulia. Tag und Nacht quillt aus dem Mund der steinernen Maske im Schwall das Wasser. Und man glaubt, es zu sehen, zu hören, zu schmecken. An diesen Platz kann denken, wer auf die Bilder Eva Schaeubles sieht. Immer findet sich beides: das Flüssige und das Erstarrte, die Geschichte und der ungreifbare Augenblick, in Hülle und in Fülle.

Eva sammelt in ihren Bildern das Feste, Beständige und noch lieber das Flüchtige, Vorüberziehende. Sie weiß, das Paradies liegt hinter ihr.List de Bagage Mit der Entfernung vermehren sich die Gepäckstücke wie von selbst. Auch dies gehört zum Überfluß. Auf einem bei Gelegenheit handgeschriebenen Blatt Papier ist aufgelistet, was mitgenommen wird. Koffer, Taschen, Schachteln und Beutel benötigt man zum Reisen wie zum Sammeln. Mit Griffen, Henkeln und Schnüren, mit Riemen, Bändern und Beschlägen sind sie versehen. Auffällig: ein Rucksack ist nicht darunter. Die Sachen sollen im Bereich der Hände sein. Man muß sie sortieren können.

Damit die Übersicht über das Gepäck erhalten bleibt, markieren kleine Randskizzen gewissenhaft die einzelnen Stücke. Eine poetische Tabelle des Inventars steht gleich daneben, auf französisch: la valise du pique-nique du Duc des Esseintes, la valise des favorites, la valise du temps perdu, la sachette des petits points ... – es handelt sich um Trophäen besonderer Art. Teilweise stammen sie sicherlich aus dem Garten Eden. Eva ist selber Jägerin und Sammlerin, bevor sie diese malt. Sie sucht die Strände des Lungomare ab und behandelt ihre Funde stolz als Beutestücke, die sie mit den Vorräten auf ihrem imaginären Marketenderwagen verstaut.Bagage Unter dem anfeuernden Zuruf „Vorwärts, Kinder, vor euch zittert das Meer“ werden die Strände freigegeben.

Evas Konterbande ist von professioneller Unübersichtlichkeit gezeichnet und für das praktische Reisen kaum brauchbar. Ihr Inhalt entzieht sich der Waage auf den Flughäfen, dem Röntgenauge an den Schaltern und dem Zugriff der Zöllner. In Schuhkartons, Mappen und Folien, in Musterbögen, Fotos und Zeitungsausschnitten wird alles zu Hause geordnet, aufbewahrt und verarbeitet. Jeder ihrer tatsächlichen und eingebildeten Streifzüge endet im Atelier mit seinen Vor- und Nebenzimmern und wartet auf sein Fortleben in neuen Kampagnen. Die finden ihren Schauplatz auf Tafeln, auf wandgroßen Papieren und Collagen, auf kleinen Schautellern und Aquarellen. Nirgendwo eine embarras de richesse.

Dafür Reichtum und Fülle bis zur Opulenz. Das ist bemerkenswert, wo sich heute Strategien der Sparsamkeit und des Kalküls behaupten.olé Victorine Les bagages d’Eva bewahren antizyklisch ihren märchenhaften Charakter aus der Zeit, in der das Wünschen noch geholfen hat.

Olé, Eva – Manets Modell Victorine als Matador hat zur Zeit ihre Rolle übernommen und zeigt sich in allen Sätteln gerecht. Victorine nimmt die Gesichtszüge der Malerin an und sitzt im Kostüm des Toreros nach der Corrida am Tisch, vor sich zwei Kirschen und einige Gläser. Ein Mikrophon wird ihr von weiblicher Hand entgegengehalten. Die Armbanduhr zeigt auf drei. Ich glaube, ihre Stimme zu diesem Anlaß zu vernehmen, mit wenigen Worten aus einem von ihr gern zitierten Gedicht: Guten Morgen, ihr Anwesenden, Abwesenden, Gute Nacht.

Klaus Gallwitz

Zurufe, die nachklingen – Kirsten Claudia Voigt, Coda 2006

Eva Schaeuble bleibt sich treu. Weiter die kraft­volle Geste, die großzügige Anlage, die sich mit der insistenten Arbeit am Detail verschränkt. Im kleinen Format Szenen einer Fabel, die sie in Auseinandersetzung mit Manets „Mademoi­selle Victorine im Espada-Kostüm“ (1862) ausspinnt – die Stierkämpferin wird aus ihrer Pose befreit, kämpft ihren Kampf mit dem Stier, das ist ihre Kunst. il fruttivendoloIn den großen Bildern findet sich unter anderem wieder die Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit, der Erinnerung an die Paradiese, die jedem von uns, der einmal glücklich war, verloren gehen. Viel Melancholie, mit einem Lächeln – über sich selbst, über die Traurigkeit. Sie kann sich in die leuchtendsten Farben hüllen – ins reinste, in frisches Bunt. Ein Zuruf, der nachklingt, ein Zuruf, der Mut und Zuversicht fast für ein ganzes Leben vermitteln konnte, die eigene Kraft anspornte: Drei Kinder in einem Boot auf weiter See, langer Fahrt – „Vorwärts Kinder, vor euch zittert das Meer“. Auch die große Komposition „Jäger und Sammler“ geht auf ein Foto aus Kindertagen zurück. Ein grüner Esel, Melonen, der eigene Bruder. Eine warme, exotische Unbeschwertheit mit langen Abenden, später, tiefer Müdigkeit und fremden Gerüchen, köstliche Früchte, reiche Ernte, Freude und Stolz. Darüber Jagdbomber, Schwärme am Himmel, unbemerkt und überall. Ein grelles, absurdes Bild mit leisem Bruch, der erst auf den zweiten Blick ins Auge fällt.

Auch Gleichmut blieb ein Thema in den vergangenen sechs Jahren, so schwer es sein kann, ihn zu bewahren. „Gleichmut 4, somnium breve“ – ein Schläfer liegt schwer ins Bild gebettet. Und mit ihrem neuesten Werk, „Fruttivendolo“, paraphrasiert Eva Schaeuble ein Gemälde des englischen Künstlers Walter Crane, eine wandfüllende Persephone-Darstellung, die sich einmal im Besitz der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe befand. Eva Schaeuble holt das Bild zurück – verwandelt es ornamental barock für das neue Jahrhundert. Der Früchteverkäufer trägt Tattoos.dove siete ? Die berührendste und persönlichste dieser fünf neuen großen Arbeiten trägt den Titel „Dove siete?“ Leere rote Gartenstühle auf der weiten Veranda eines Cafés am Fuß eines Vulkans. Es ist die Frage nach denen, die wir liebten, und die wir nicht mehr finden – nur noch auf leeren Stühlen und in der Erinnerung, die schwer heilt. Vielleicht säßen sie dort gut, zufrieden, zurückgelehnt, mit dem Blick auf den rauchenden Berg, der umlagert ist von kämpfenden Titanen und Kentauern, mythologische Gestalten voll unbändiger Energie. Das Antike kehrt wieder, und die Hoffnung regt sich, dass es ein Zurück in der Zeit gibt – jenseits unserer Welt. In diesen großen Gemälden lagern sich Träume und Inspirationen weiterhin wie Sedimente ab, wachsen zu einer fragenden langen Erzählung zusammen über die Sehnsucht. – Wo seid ihr?

Kirsten Claudia Voigt

Zurufe, die nachklingen – Kirsten Claudia Voigt, Mai 2000

Zur Eröffnung der Ausstellung im Rastatter Marstall

Eva Schaeubles Kunst ist in mehrfacher Hinsicht Auseinan­dersetzung mit der Tradition. Die Künstlerin liebt den Einsatz von Zitat und Anspielung, sie liebt den Reichtum der abendländischen Kultur, der Nährboden ihrer Kunst ist. Deshalb könnte man vor ihren fulminanten Arbeiten viele Namen und Orte nennen, Geschichten und Kunst-Geschichten erzählen.

Fallende Gesichter, Brunnenschalen, Wasser, kalte Steine, Licht und Schatten, Blumen, Brücken, Unten und Oben, Absinken und Wiederauftauchen, Abschied – mit diesen Motiven, Konstellationen oder Bewegungen arbeiten ihre Bilder.

„Wo ich hinkam, fand ich mich unter Steinen, wie sie ergraut und von Vertrauen befangen. Mir ist gewiss, dass auch dein Gesicht so alt herabfiel und sich neben mich legte unter den eisweißen Wasserfall ...“ Ähnlich wie viele Gedichte von Ingeborg Bachmann sind auch Eva Schaeubles Bilder oft angeregt durch Orte, an denen sich kulturelle Leistungen in einzigartiger Weise verdichteten, durch die Kultur Italiens und Frankreichs, durch die Intensivierung der Wahrnehmung, die wir auf Reisen erfahren, die ganz dem Schauen, der Begegnung mit Neuem gewidmet sind. So ist Eva Schaeuble schon als Kind mit ihrer Familie gereist, in die Museen von Florenz und Mailand, später nach Rom.

Ihre Kunst ist poetisch. Sie liebt Lyrik und expressive Epik, sie liebt die Kunst der Renaissance, des Manierismus und des Barock. Diese Vorbilder sind bewunderter Maßstab. Weniger das Persönliche als das Überpersönliche, das kulturell Geformte ist damit Eva Schaeubles Stoff. Die Künstlerin hat dabei weder vor großen Themen, noch vor großen Gefühlen, noch vor großen Vorbildern, noch vor großen Räumen oder Formaten Angst. Sie stellt sich mit beachtlichem Geschick diesen Herausforderungen, einem Kräftemessen.

Marstall Schloss Rastatt, 2000

Kaum eine Künstlerin setzt sich mit vergleichbarer Neugier, unermüdlicher Wissbegier, Aufgeschlossenheit und Systematik mit ästhetischen Theorien früherer Jahrhunderte auseinander, erlaubt sich dabei eine unerhörte Freiheit und Großzügigkeit im Umgang mit diesen Ideen und Traditionen, ohne diese zu verschleißen oder symbolisch zu entleeren.

Genuin arbeitet Eva Schaeuble als Zeichnerin. Die große Anlage ihrer Werke verdankt sich immer einer klaren linearen Strukturierung, der Operation mit scharfen Konturen und starken Kontrasten. Wer derart „linear“ denkt, arbeitet intellektuell vor, hat sich mit Erfindung und Entwurf befasst, Pläne, Strukturen und Muster ersonnen. Das innere Bild, der Plan, die Idee spielen in dieser Kunst eine wichtige Rolle – ihre Umsetzung vollzieht sich jedoch immer mit spontaner und spielerischer Leidenschaft, mit Lust auf Verwandlung und Abweichung, bis sich eine Balance einstellt zwischen Gefühl und Verstand.

Eva Schaeubles Arbeitsprozess ist vielschichtig. Sie ist Jägerin und Sammlerin, wenn sie Tageszeitungen und Illustrierte liest. In ihrem Karlsruher Atelier stehen Kartons mit Zeitungsausschnitten. Das Foto eines Pullovers, der im Wasser treibt – ein Bild, das nach einem Flugzeugabsturz entstand –, interessiert sie genauso wie Aufnahmen von Installationen Walter de Marias oder Sol LeWitts, wie ein Foto, das Arbeiter im Schacht der Pariser Metro zeigt, oder ein Bild gestapelter Fernsehmo­nitore. Dokumentarbilder von den Verwüstungen des Kosovo-Krieges begegnen in ihren Arbeiten den Kopien eines Stichs von Antonio de Pollaiuolo mit antikischen Kämpfern. Eva Schaeuble führt durch ihre Zitate Geschichte und Gegenwart zusammen. Seit 1988 integriert sie Collage-Material in ihre Werke. Sie verarbeitet die gesammelten Zeitungsausschnitte durch Kopierverfahren als seriellen Rohstoff und verweist damit unter anderem auch auf die Massenhaftigkeit des Auftretens von Bildern heute, auf Massenproduktion, aber gewissermaßen auch auf die Massenvernichtung von Bildern durch immer neue Bilder. Fotos werden in einer das Einzel­motiv unkenntlich machenden Fülle ins Bild integriert. Mit der Großform ihrer Zeichnungen korreliert Eva Schaeuble damit feinsinnig durchgearbeitete Binnenstrukturen mit narrativem Gehalt. „Ich mag es, wenn man im Großen eine klare Form erkennt, und dann aus geringerer Entfernung entdeckt, dass da noch etwas erzählt wird.“ In dieser Spannung hält Eva Schaeuble ihre Arbeiten immer.

Das Gefäß steht für ein breites ikonographisches Spektrum. Es enthält nicht nur den Hinweis auf das leben- und kraftspendende Wasser, das in ihm aufgefangen und transportiert wird, sondern auch in seiner auf den ersten Blick rein ornamental anmutenden Oberflächenstruktur die erwähnten Fotofrag­mente – zum Beispiel Flaschenberge, aus denen Teile von Granaten ragen. Auch hier sind moderne Bilder mit mythologische Vorstellungen assoziiert. „Styx“ ist zum Beispiel eine große grüne Vase betitelt, in deren Innerem eine kopfüber hängende Figur sichtbar wird.

Das Zitat, der Bezug zum Mythos erscheint in ihren Werken nicht als theoretischer Ballast, nicht als bildungsbürgerliche Aufforderung etwas zu wissen, sondern als Aufforderung genau hinzusehen und über die Phänomene Verbindungen herzustellen zwischen Zeiten und Kulturen.

Formal raffiniert treibt die Künstlerin immer wieder das Spiel mit den Mitteln der Täuschung, wenn sie sich mit der Darstellung von Räumlichkeit befasst. Die Phänomene werden unsicher, betrügen unsere Augen. Ist eine Mauer nun ein reines Flächenornament oder plastisch ausgeprägt? Ist sie fotografisch präzise wiedergegeben, tatsächlich ein Stück Fotografie, oder gezeichnet? Öffnen sich Löcher im Bildraum? Wo ist vorne, wo hinten? Bildwirklichkeit wird brüchig. Eva Schaeuble spielt nicht nur mit Strukturen, nicht nur mit Elementen, sondern auch mit unserer Wahrnehmung. „Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir“ hieß einmal eines ihrer Werke – das ist auch ein Teil ihres ästhetischen Programms.

Treu geblieben ist Eva Schaeuble über die Jahre der Figur. Existierten früher mehr lebendige Figuren wie Tänzer, so widmen sich die Werke seit einigen Jahren artifiziellen, weitgehend erstarrten Figuren. Die „Potamiden“ etwa, die  liegenden Brunnenfiguren, und die Wasserspeier sind per se Kunstfiguren. Wasserspeier und Brunnenmotiv tauchen in Eva Schaeubles Beschäftigung mit den Brunnen Roms, besonders dem sogenannten Mädchenbrunnen in der Via Giulia, auf.

Die Wasserspeier von Eva Schaeuble haben zum Teil Melancholie in ihrem starren Blick – vielleicht eine still-versteinerte Trauer über den Mangel an Friedfertigkeit auf der Welt. Und andererseits strömt durch diese gleichmütigen Physiognomien das Leben, eine Urkraft, unaufhaltsam und im Überfluss. Diese Wasserbilder zeugen vom Zerrinnen, bedienen sich des Assoziationskreises zwischen Auf- und Abtauchen, Fruchtwasser, Quellwasser, Weihwasser und Totenfluss. Eva Schaeuble selbst versteht ihre Wasserspeier als Symbole für „Gleichmut“, der aus dem Gedanken an eine Wiederkehr, an die zyklische Erneuerung des Lebens hervorgeht.

Mit der Werkreihe der Glasteller vereinzelt sie Motive aus ihrem weiten Kanon, sie atomisiert gleichsam ihr Repertoire. Die Teller lassen sich dann wiederum zu einem gewissermaßen pointillistischen, impressionistisch hingetupften Wandarrangement addieren, das Grundthemen bewahrt: die Auseinander­setzung mit Leblosigkeit und Vitalität, mit Utopien von Unbeschwertheit und den realen Anzeichen für die humanen Destruktivkräfte, mit Erinnerungen und Selbstzeugnissen, dem Verrinnen von Zeit. Gleichbleibend kennzeichnet ein entschiedener Formwille ihre Arbeiten. Immer wieder ist Eva Schaeuble aber auch auf der Suche nach neuen gestalterischen Mitteln. Hinter all dem verbirgt sich ein „disegno interno“, eine Linie, die auf ein Ziel zuführt. Eva Schaeuble sucht mit ihren Arbeiten nach einer zeitgemäßen Schönheit, einer Schönheit der Intensität. Ihre Bilder sind immer Befragung älterer Vorstellungen von Harmonie. Ihre Werke sind Versuche, auf Schönheit hinzuweisen, in einem Zeitalter, das mit diesem Begriff lange ablehnend und destruktiv umging. Und die Künstlerin hat etwas von einem berühmten Künstler der Mythologie: Sie ist eine Art Pygmalion, der nicht nur versucht, ein Inbild der Schönheit zu schaffen, sondern sich auch noch wünscht, es möge lebendig werden.

Kirsten Claudia Voigt

Allegorie von Zeit und Vergänglichkeit – ORACULA SIBYLLINA – Dorothee Höfert

...für die Malerin wird das steinerne Antlitz einer antiken Frauengestalt zum Ausgangspunkt einer Serie von großformatigen Bilder, mit denen sie Dimensionen der Zeit darstellt - Zeit sowohl  als endliche Lebenszeit eines Menschen wie auch als philosophische Kategorie, deren Denkfiguren sie nachhaltig faszinieren. Aufgebaut ist der Blick auf eine jeweils frontal wiedergegebene weibliche Büste vor wechselndem durchaus Landschaft suggerierenden Hintergrund aus einer raffinierten Verschränkung von Collage und Malerei. Erst bei näherem Zusehen lassen sich kleinteilige, erzählerische Einzelelemente erkennen, die die formfüllenden Großformen begleiten oder überhaupt erst strukturieren - Architekturversatzstücke, Segelschiffe, Korallenzweige, Felsen, antike Fabelwesen oder Mohnblüten – und dabei sinnbildhafte Bezüge stiften.

Der antike Frauenkopf mit den gesenkten Lidern taucht aus dem Meer der Vergangenheit empor und wird zur Allegorie von Zeit und Vergänglichkeit.. Nachtblau, mit Mohnblüten geschmückt, erscheint das Gesicht als Traumbild an der Grenze von Schlaf und Tod; schwarzgrau, umgeben von  Sphinx-Figuren, erinnert es an die Begegnung von Ödipus mit dem ägyptischen Ungeheuer und die Rätselfrage nach der menschlichen Existenz; marmorbleich  vor blutrotem Hintergrund verwandelt sich die Büste in ein Abbild  versteinerter – weil nicht mehr gewusster  und gelebter – kultureller Tradition. Die vielschichtige Bilderfolge ist auch eine Probe der Künstlerin auf die Wirkung einer uralten, Transzendenz vermittelnden Symbolsprache, deren faszinierender Bilderreichtum und Formenschatz sich im künstlerischen Zugriff als dichtes Gewebe aus persönlichen Erinnerungen und kulturellen Bezügen manifestiert.

Episode – Dorothee Höfert

Eva Schaeuble ist es gewohnt, als Malerin ganz selbstverständlich aus dem Reichtum abendländischer Kulturtradition zu schöpfen, ohne den Boden moderner, unserer Zeit gemäßer Gestaltung zu verlassen. Es sind teilweise schon durch ihr ungewöhnliches Format beeindruckende Arbeiten, die von einem anhaltenden und anregenden Dialog mit den Werken der großen Kunstepochen berichten, der seinen Niederschlag häufig in ganzen Serien findet. Die aktuelle Serie greift die barocke Blumenthematik in Form von großdimensionierten Tulpendarstellungen auf, in denen Eva Schaeuble nicht nur die Schönheit dieser Frühlingsboten vor Augen führt, sondern ein komplexes, anspielungsreiches Bezugsystem aus Motiven und Ideen zur Vanitasvorstellung entwirft, das künstlerisch höchst reizvoll in ein Labyrinth aus malerischen und grafischen Elementen führt. Aus einem gewissen räumlichen Abstand heraus betrachtet  präsentieren sich großzügige Kompositionen mit Tulpensträußen in jeweils unterschiedlichen Vasen. In jedem Bild dominiert ein anderer Rot-Ton, das Spektrum reicht von der hellen Rosafärbung über das intensive Rot bis hin zum tiefen Purpur. Die Farben korrespondieren dabei mit den unterschiedlichen Stadien der natürlichen Metamorphose von der geschlossen, zartfarbigen Blüte über die vitale Entfaltung der Kelchblätter in strahlendem Rot bis hin zum Übergang in den Verwelkungsprozess, der sich in dunklen, violetten Tönen vollzieht. Die malerische Plastizität der üppigen, aufbrechenden Tulpen kontrastiert mit einem eher flächigen Hintergrund, in dem Räumlichkeit nur behauptet, nicht weiter illusionistisch ausgeführt wird.

Genaueres Hinsehen enthüllt eine spannende inhaltliche und formale Vielschichtigkeit. Die aus einer raffinierten Mischung aus Malerei, Zeichnung und Collage entwickelten Bilder verdanken sich einem intensiven künstlerischen Prozess, der lange vor der eigentlichen Maltätigkeit beginnt. Eva Schaeuble sammelt kontinuierlich dokumentarische Fotos, Zeitungsausschnitte, Abbildungen von Ornamenten und Mustern, Reproduktionen von Meisterwerken der Vergangenheit, interessante grafische Strukturen, aktuelle Bildreportagen und was ihr sonst an interessantem Abbildungsmaterial in die Hände fällt. Schwarz-weiss Kopien aus diesem schier unübersehbaren Fundus werden als Rohmaterial in die Malerei eingebettet und farbig übergangen, sind als collagierte Elemente mit der malerischen Textur verwoben, bleiben als aussagekräftige Details jedoch ohne Weiteres erkennbar. Im Tulpenzyklus übernehmen sie eine wichtige,  kommentierende Funktion: So fallen alsbald die kleinen Bilder im Bild ins Auge, die sich als einzelne Szenen aus einer altmodischen Comic-Episode erweisen, in denen Prinz Eisenherz einen Kampf gegen den Herrn der Zeit, nämlich Gott Chronos selbst führt. Die von der Malerin eingestreuten Bildzitate aus der Prinz-Eisenherz-Geschichte werden zum Kommentar, ja zum Schlüssel der Blumenbilder-Serie: Kann der Held den Kampf gegen die Zeit gewinnen? Sie ahnen schon, was passieren wird: „Und mit einem trockenen Hohngelächter wirft der Alte ihn in den Staub!“ Auch der ritterliche Prinz mit der sprichwörtlichen Frisur unterliegt bei seinem möglicherweise letzten? Abenteuer einem Alterungsprozess und muss sterben. Doch das ist nur der Inhalt der Geschichte – als literarische und damit Kunst-Figur ist Prinz Eisenherz unsterblich, solange irgend jemand Lust hat, ihn lesend bei seinen Abenteuern zu begleiten, hat Chronos keine Macht über ihn. In ihren Arbeiten spielt Eva Schaeuble das Thema der Vergänglichkeit nun auf verschiedenen gestalterischen und inhaltlichen Ebenen durch; nicht nur, dass der Tulpen-Zyklus selbst die Stadien des Verwelkens aufzeigt, auch die zugehörigen Insekten, die alles fressenden Schnecken zum Beispiel, finden als Bilder im Bild ihren Platz in den beziehungsreich miteinander verwobenen Kompositionen. Doch zugleich wird dieser unumkehrbare Prozess des Alterns und Sterbens aufgehoben – das Bild als Kunstwerk überwindet die Natur, die malerische Präsenz der Tulpe aus Farben und Formen bleibt im Gegensatz zur realen Blume erhalten, solange das Bild existiert.

Sie werden beim Betrachten der Bilder von Eva Schaeuble immer wieder auf diese Spannung zwischen kleinteiligen, erzählerischen Einzelelementen und  formatfüllenden Großformen stoßen, mit der zugleich die Spannung zwischen einer überbordenden, nicht mehr fassbaren Fülle aus reizvollen Einzelheiten und einer notwendig verkürzenden, malerischen Verdichtung ins Bild kommt. Die kompositorische Organisation nutzt auch die Möglichkeiten des Ornaments, des sich zum Muster zusammenfindenden, wiederholten Details, mit dem zugleich Aussagen transportiert werden, die weit über den ästhetisch-dekorativen Aspekt hinausreichen. Jedes Ornament ist immer auch mit einer symbolischen Inhaltlichkeit behaftet, verweist sinnlich-konkret auf geistig-abstrakte Zusammenhänge, ein Phänomen, das sich zum Beispiel in der nicht-gegenständlichen Bilderwelt des Islam ganz besonders stark ausgeprägt hat. In Eva Schaeubles Arbeiten durchdringen und durchbrechen die flächigen, zum Muster zusammengefügten ornamentalen Elemente den illusionistischen Bildraum der Malerei und irritieren den Blick, der ein Bild zunächst als Gesamtes aufzufassen gewohnt ist. Wer sich mit den Augen in Eva Schaeubles Bilder hineintraut, steht vor einem schwindelerregenden Abgrund, dessen formale Bezüge die Tiefe europäischer Kulturtradition sichtbar machen, über die wir Heutigen sozusagen mit halb geschlossenen Augen hinwegschreiten, um uns nicht in ihr zu verlieren. Für diesen Zustand hat Walter Benjamin den Ausdruck vom „Engel der Vergangenheit“ geprägt, der mit dem Gesicht nach rückwärts unaufhörlich in die Zukunft fliegt.

Dorothee Höfert

Zur Verleihung des Kunstpreises "Künstlerin in Baden-Baden" – Burghardt Freyberg

Eva Schaeuble als Preisträgerin des städtischen Kunstpreises  „Künstlerin in Baden-Baden“ hatte im Obergeschoß des Alten Dampfbades am Marktplatz naturgemäß ein Heimspiel der besonderen Art. Als langjähriges Vorstandsmitglied der dort residierenden  Gesellschaft der Freunde junger Kunst e.V. und  Kuratorin mehrerer Ausstellungen hat sie die historischen Räumlichkeiten des Hübsch-Baus in Kenntnis der besonderen Wirkung der Räume souverän mit ihren Werken bespielt. 

So entsteht zuerst beim Besucher der Eindruck einer bildnerisch und plastisch fast barock-überquellenden Inszenierung, doch  –  auch mit Hilfe des auskunftsfreudigen Kataloges –  entdeckt man schnell den künstlerischen Faden in der Komplexität von kunsthistorischen Stilverweisen und insbesondere mehreren Frauenbiographien des Impressionismus.

OB Margret Mergen als Preisgeberin und früheres Mitglied des Majolika-Stiftungsrates war es auch, die zur Vernissage am Sonntag, 11. Dezember, auf die Bedeutung der Künstlerin für diese stets um ihre Existenz kämpfende Karlsruher Manufaktur verwies. Eva Schaeuble setzt eine Tradition fort, die vor ihr viele prominente Künstler  wie Markus Lüpertz, ihrem früheren Professor, Stephan Balkenhol und Elvira Bach in den Keramik-Ateliers in Schlossnähe begründet haben.

Welche glasierte Interpretationen von den Helden der Geschichte bis zu den in Vasen verwandelte Impressionisten-Freundinnen ihre Künstlerhände dabei in den vergangenen Jahren  aus dem keramischen Material geformt  und mit ihrem typischen Malduktus vollendet haben, zeigen fast die Hälfte der 120 ausgestellten Werke eindrucksvoll. Dies ist umso bemerkenswerter, als die Künstlerin erst 2009 ihre Leidenschaft für die plastischen Keramikarbeiten entdeckt hat.

Für ihre Ausstellung hat sie sich ein besonderes Präsent ausgedacht: In der Mitte des Florentinersaales hängt ein Kronleuchter aus Eisen, an dem 40 „Groteske Köpfe“ aus Keramik mit Fayencemalerei und bunten Papierkörpern drapiert sind, allesamt jeweils zu einem besucherfreundlichen Preis zwischen 100 und 250 Euro, der der Philosophie der Gesellschaft entspricht, originale Kunst in die Wohnungen der Menschen zu implantieren und sie zu Sammlern  werden zu lassen.

In der Rotunde  des Alten Dampfbades glänzt Eva Schaeuble, der Architektur des Raumes entsprechend, mit einem überdimensionalen malerischen Statement. Auf dem 4,20 mal 2,60 Meter großen Bild „Bar Recontre des amies“ versammelt sie die Frauen, an deren Rolle als Künstlerinnen  im Impressionismus sie nicht nur in zahlreichen Bildern und Portraitkeramiken  erinnern möchte, sondern auf deren Seelenverwandtschaft sie verweist: Berthe Morisot, Malerin, berühmtes Modell beispielsweise auf dem Bild „Der Balkon“ (und Geliebte?) von Manet, dessen Schülerin, die Bildhauerin Eva Gonzales, die Künstlerinnen Susanne Valadon, und Mary Cassat und natürlich Victorine Meurent, Malerin und Modell Manets.

Für diese allesamt sehr begabten und den männlichen Kollegen in künstlerischer Hinsicht ebenbürtigen Künstlerinnen wird, so Kunsthistorikerin Marlene Angermeyer-Deubner in ihrer Vernissagen-Ansprache, „ein kleines sehr aktuelles Universum weiblicher Selbstbehauptung“ geschaffen. Dass sie die Barszene, angelehnt an das berühmte Bild „Bar aux Folies Bergères“, mit realen Barhockern in den Raum der Rotunde  ausweitet, ist nur eine der  vielen augenzwinkernd-ironischen  Verweise zu kunstgeschichtlichen Ikonen und Helden der Geschichte, die die Besucher an vielen Stellen der Ausstellung entdecken können.

Auf den aufklappbaren Umschlagseiten des Kataloges ist Eva Schaeubles  Pinwand im Atelier zu sehen. Bevor man sich auf den Rundgang durch ihren Künstlerkosmos macht, sollte man diese genau betrachten. Da findet man das Bild der Victorine Meurent, gemalt im Kostüm einer Stierkämpferin als Zeitungsauschnitt, ebenso wie  Gedichte der Lyriker Oskar Loerke und Paul Celan  und auf dem Tisch eine Ausgabe des rätselhaften Renaissance-Romans „Hypnerotomachia  Poliphili“. Damit gibt sie dem Besucher neue Rätsel auf. Was bleibt, ist ein Ausstellung, die zum Entdecken einlädt und das Auge in der Sinnlichkeit ihrer Formen und Ideen schwelgen lässt.

Burghardt Freyberg

Kraftvoll, sinnlich und durchaus weiblich – Birgit Möckel

Es ist nicht zu übersehen: In ihrem Bildkosmos steckt vor allem eine übergroße Lust –Lust am Malen, am Fabulieren, am Formen, an Intellekt und Sinnlichkeit und nicht zuletzt an der Fülle von Farben, Linien, Ornamenten und Gesten – von energetischer Kraft bis zu feiner Tonigkeit und graphischer Raffinesse.

Üppig und zart verdichten sich Impulse und finden zu Bildern und Bildergeschichten, deren Themen und Motive sich nicht zuletzt auch aus klassischer Mythen und der Kunstgeschichte speisen.

Mit größter Intensität und feiner Souveränität werden diese Inhalte verwoben: zu unverwechselbarer Malerei und spielerisch hintergründigen Adaptionen – abgeleitet aus dem Bildvokabular beispielsweise eines Edouard Manet, dessen unglaublich reiche Schwarztöne, sein für die damalige Zeit unerhört freier Duktus und nicht zuletzt auch seine einfühlsam und präzise beobachteten Frauengestalten bis heute fesseln.

Eva Schauble ist Manet, einem der Urväter der Moderne, ganz nah und denkt die altbekannten Themen und Mythen anspielungsreich und durchaus weiblich weiter. Sie versammelt „Enkelinnen“ oder „nach-gedachten“ Anverwandten von Victorine Meurant, einer jungen Frau, die Manet für viele seiner Rollenspiele Modell stand. Denken wir an „Die Dame mit dem Papagei“ oder das Bildnis der „Mademoiselle Victorine als Stierkämpferin“.

Immer wieder zeigen sich bei Papierarbeiten, keramischen Gefäße und Skulpturen, anspielungsreiche Metaphern und Zitate aus der Kunstgeschichte, die die Protagonistinnen auszeichnen und verorten – sei es in der Tradition der Kriegsgöttin Athene oder Minerva, auf die die Eule verweist, der man oft erst auf den zweiten Blick gewahr wird, oder eben Heldinnen aus dem Manetschen Repertoire, die vielleicht weniger am Papagei als an jenem unnachahmlichen Blick in ein undurchdringliches Innen zu erkennen sind, das sie so unnahbar wie verletzlich erscheinen lassen.

„Heldinnen, wie wir – oder olé Victorine“ nennt Eva Schaeuble diese Frauen, die mit hingebungsvoll schmachtendem Augenaufschlag an barocke religiöse Verheißungen erinnern und doch tapfer jedwede Rolle meistern: vom säbelschwingenden weiblichen Torero über ganz im Diesseits stehenden Figuren, die, die Hände in die Hüften gestemmt oder in prachtvolle Gewänder gehüllt, dem Leben gleichsam an vorderster Front trotzen. Ob raumfüllend auf großformatigen Bögen oder raumgreifend auf Sockeln in Rundansicht zu betrachten, ob als Ahnenreihe im Hintergrund oder plastisch und vielfach dekoriert: selbstbewusst stellen sie sich dem Betrachter – und erobern ihren Raum (auch in der Kunstgeschichte).

Gleich ob die Mythen, denen sie entsprangen, weiterleben, oder sich in dekorativem Zierrat jener schwarzweißen Interieurs verwandeln – immer bleiben sie vereint mit diesen Frauenbildnissen – von der Jugend bis ins hohe Alter. Sehnsüchte, Wünsche, Wahrheiten, Visionen – ein ganzes Leben oder Universum spiegelt sich in den üppigen Versatzstücken, die sich auf dem Papier oder im Raum von allen Seiten präsentieren. Von schwarz nach weiß, über blasses Rosa nach Rot finden sich reiche Zwischentöne: Erzählerisch und immer wieder verblüffend die Wirkung der räumlichen und linear- ornamentalen Komponenten der Bilder. Viele Fäden führen zu immer neuen Kapiteln einer Kunst-Geschichte, die hier ganz individuell weitergeschrieben wird – Aus der Gegenwart in die Zeit – mit Blick zurück und nach vorn.

In einer so paradiesischen wie bedrohten Kulisse aus Malerei und Collage-Elementen, präsentiert Eva Schauble das flirrende Licht eines Sommertages in dem sich erst in der Nahsicht die Bedrohung am Himmel und ein weitbekanntes Logo eines Energiekonzerns zeigen. Was mögen die vier Protagonisten jenseits des Bildes sehen? Lächelnd wie auf einer verblassten Fotografie schauen sie auf den Betrachter. Stoisch blickt der Esel und zieht seine Last. „Jäger und Sammler“ – lauten Titel und geheimnisvolle Botschaft eines umfassenden Panoramas und Memento Mori: zwischen Geschichte und Gegenwart, prallem Leben, fotografisch genauen montierten Details und freier malerischer Assoziation entwickelt es nun hier seine suggestive Kraft – mit allen innewohnenden Brüchen.

Eva Schaeuble zeigt ihre Nähe zur Kunstgeschichte, detailreich und umfassend, um sich genau von dort ihren Weg zu bahnen – in unsere Gegenwart, die ihre eigene Kunstgeschichte schreiben wird – mit Helden und Heldinnen. Kraftvoll, sinnlich und durchaus weiblich – ist ihre Position ein Genuss für alle Sinne.

Birgit Möckel

 

Birgit Möckel, geboren 1958 in Bruchsal, Dr. phil.; Kunsthistorikerin, Kuratorin, Autorin, Hochschuldozentin; u.a. Mitglied im Kuratorium der Wilhelm Neuhaus Stiftung. Der Text ist ein modifiziertes Redemanuskript zur Eröffnung der Gemeinschaftsausstellung „Eva Schaeuble und Gabi Streile“, Galerie Tammen Berlin 2015. Abdruck mit freundlicher Genehmigung von Birgit Möckel.

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